Wie es um den Informationsgehalt von Statistiken steht, ist wohl jedem bekannt. Der früherer englische Premierminister Winston Churchill sagte einmal: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ Auf Kapitalmarktprognosen scheint dieser Spruch ebenfalls zuzutreffen. Allerdings eher in dem Sinne, dass man diesen nur trauen dürfe, sofern man sie nur oft genug angepasst hat.
Mehr und mehr Banken heben Ölpreisschätzungen an
So heben angesichts der zuletzt stark gestiegenen Rohölnotierungen aktuell immer mehr Analyse-Abteilungen großer Bankhäuser ihre Schätzungen für die zukünftige Preisentwicklung an. Die Rohstoffanalysten des niederländischen ING Bank sind der Ansicht, dass die Ölpreisrallye noch nicht zu Ende ist, und prognostizieren, dass die Rohölsorte Brent in naher Zukunft die Marke von 100 Dollar pro Barrel (a 159 Liter) überschreiten wird, sofern die OPEC+ nicht von ihren Förderkürzungen abrückt.
ING: Ölpreise über 100 Dollar nicht nachhaltig
Kurzfristig ist jedoch mit Gewinnmitnahmen zu rechnen, stellt die ING fest, da Ölpreise von über 100 Dollar nicht nachhaltig seien. Die niederländische Bank warnt, dass die Ölpreise wahrscheinlich nicht für längere Zeit über 100 Dollar pro Barrel liegen werden, und prognostiziert, dass die Brent-Preise im vierten Quartal nur durchschnittlich 92 Dollar pro Barrel betragen werden, was etwas unter dem aktuellen Brent-Preis von 9x,xx Dollar liegt. Die ING Bank ist nicht die einzige Energieagentur, die den Ölpreis über der psychologisch wichtigen Marke von 100 Dollar pro Barrel sieht.
Morgan Stanley: Ölpreise über 100 Dollar „überzogen“
So hob die US-Investmentbank Morgan Stanley gestern ihre Prognosen für den Brent-Ölpreis an und erklärte, dass der Markt insbesondere nach den Saudi-Russischen Förderkürzungen noch mehrere Quartale lang unterversorgt bleiben könnte. Die Analysten betonten dabei allerdings, dass Preise über 100 Dollar pro Barrel „überzogen“ erscheinen würden.
OPEC könnte unter politischen Druck geraten
Die Analysten sind sich uneinig darüber, wie lange der Ölpreis von 100 Dollar anhalten kann. Das wiederum bedeutet, dass sie sich in einem sehr wichtigen Punkt nicht einig sind: Die saudische Motivation für die Produktionskürzungen. Nach Ansicht von ING wird die OPEC wahrscheinlich zunehmend unter politischen Druck geraten, wenn die Kraftstoffpreise weiter steigen.
Fundamentaldaten für Ölpreise wenig relevant
Die niederländische Bank ist der Ansicht, dass die Strategie der Gruppe in der Vergangenheit darin bestand, die Märkte zu stabilisieren und kein bestimmtes Preisniveau anzustreben. Bei der Vorhersage der künftigen Ölpreise geht es also weniger um die Fundamentaldaten, sondern vielmehr darum, ob die Saudis die Produktion drosseln, um die Preise in die Höhe zu treiben, damit sie ihren Haushalt für 2023 ausgleichen können, oder ob sie wirklich die Notwendigkeit sehen, den Markt zu stabilisieren.
Angebotsverknappung bis zum Jahresende
Wie viele andere Ölexperten ist auch ING der Ansicht, dass sich die Märkte aufgrund der Produktionskürzungen Saudi-Arabiens und Russlands erheblich verknappt haben und dass das derzeitige Defizit von mehr als 2 Millionen Barrel pro Tag bis zum vierten Quartal des laufenden Jahres anhalten wird. Ihrer Einschätzung nach sind die Profihändler an den Rohstoffmärkten optimistisch, dass die Ölpreise noch weiter ansteigen werden.
Diesen Prognosen scheinen die Notierungen an den Rohölmärkten zum Wochenschluss folgen zu wollen. Nachdem sich die Preise für Gasöl, dem Vorprodukt für Dieselkraftstoff und Heizöl, gestern und heute im frühen Handel wieder verteuert haben, spiegelt sich diese Aufwärtsbewegung auch bei den Heizölpreisen wider. Verbraucherinnen und Verbraucher im Bundesgebiet müssen im Schnitt etwa +1,80 bis +2,60 Euro pro 100 Liter mehr bezahlen als noch am Donnerstag.
Source: Futures-Services